Julie de Graag ist eine talentierte Zeitgenossin von M.C. Escher. 2024 jährt sich ihr Todestag zum hundertsten Mal. Die beiden Künstler verbindet eine große Liebe zur Natur, sie beobachten die Welt um sich herum und verarbeiten diese Eindrücke auf ihre ganz eigene Art und Weise in graphischen Arbeiten. Mit wenigen Details gelingt es Julie de Graag, in Holzschnitten das Wesentliche von Pflanzen, Tieren und Menschen wiederzugeben. Das Museum Escher im Palast präsentiert ihr umfangreiches Werk in einer Ausstellung Seite an Seite mit dem Werk Eschers.
In ihren stilisierten Arbeiten bringt Julie de Graag (1877–1924) kleine Objekte wie Tiere, Blumen oder Pflanzen, aber auch Landschaften, groß heraus. Als sie ihren eigenen Stil schon umfassend entwickelt hat, steht Maurits Cornelis Escher noch ganz am Anfang seiner Karriere. Die Ausstellung mit Drucken und Zeichnungen aus der Sammlung des Kunstmuseums Den Haag wird für das große Publikum eine echte Entdeckung sein.
Anders als Escher, der zu einem auf der ganzen Welt bekannten Künstler wurde, ist Julie de Graag vor allem unter Kennern ein Begriff. Trotz der Schönheit und Tiefe ihrer graphischen Arbeiten, und obwohl ihr Werk Teil wichtiger niederländischer Kunstsammlungen ist, hat sie bislang kaum im Scheinwerferlicht gestanden. Das Museum Escher im Palast hat sich intensiv mit ihrem Leben und ihrem Werk, das die reiche Natur und die Essenz des Lebens darstellt, befasst und wirft auf diese Weise ein neues Licht auf ihr Werk, aber auch auf das von Escher.
Schwache Gesundheit und Unglück
Die Kindheit und Jugend beider Künstler verläuft nicht sorgenfrei. Schon in jungen Jahren haben sie mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Escher ist häufig krank und muss bereits mit sieben Jahren für längere Zeit zur Kur, und es sollte nicht bei einem Aufenthalt bleiben. De Graag wächst behütet auf, und auch als Erwachsene bedarf sie des Beistands, den sie bei ihrer Mutter findet. Bei beiden sorgt die schwache Gesundheit zu einer gewissen Isolierung, aber sie lassen sich nicht unterkriegen, ganz im Gegenteil: sie entscheiden sich aus tiefer Überzeugung für ein Leben als Künstler.
Die aus der Stadt Gorinchem stammende Julie de Graag zieht als Kind mit ihren Eltern nach Den Haag, wo sie die Akademie für bildende Kunst – die heutige Königliche Akademie für bildende Kunst/KABK – besucht. Wenngleich sie formal eine Ausbildung in den Bereichen Kunsthandwerk, Bossieren und Naturzeichnen durchläuft, wendet sie sich der Grafik zu. Von ihrem frühen Werk ist jedoch kaum etwas erhalten geblieben. Am Neujahrstag 1908 vernichtet ein verheerender Brand ihr Atelier in Laren, wo sie seit 1904 lebte. Bei dem Feuer geht auch ihr gesamtes Holzschnitzmaterial verloren, weshalb sie sich gezwungenermaßen vorübergehend der Malerei widmet. Aber die Liebe zur Grafik lässt sie nicht los, und so kehrt de Graag, nicht zuletzt auf Drängen ihres Umfelds, zur graphischen Arbeit zurück.
Künstlerkreise
Escher entscheidet sich nach einigen Umwegen für eine Künstlerausbildung an der »Schule für Architektur, Ornamentik und Kunsthandwerk« in Haarlem. Sein Lehrer für grafische Techniken, Samuel Jessurun de Mesquita, erkennt sein Talent und fördert den jungen Escher. In dieser Zeit wird die Grundlage für die weitere künstlerische Karriere Eschers gelegt. Wenngleich nicht klar ist, ob Escher und de Graag sich kannten und einander begegnet sind, ist gesichert, dass sie in denselben Künstlerkreisen verkehren. Die Schwester und der Schwager de Mesquitas, Anna und Joseph Mendes da Costa, sind nämlich mit de Graag befreundet. Es ist anzunehmen, dass de Graag und Escher voneinander gehört haben. Klar ist, dass sie aufgrund ihrer Faszination für das grafische Medium miteinander verbunden sind.
Genau wie Escher bildet de Graag häufig Personen aus dem direkten Umfeld ab. So entsteht ein Porträt des Kunstdozenten und -beraters Henk Bremmer. In einem Brief fragt sie ihn, ob er an dem Porträt interessiert ist. Bremmer ist regelrecht begeistert von ihrer Arbeit und weist unter anderem Sammler auf de Graag hin. So kommt es, dass de Graags Werke zum Beispiel in die Sammlung des Kröller-Müller-Museums aufgenommen werden.
Genaues Beobachten
Julie de Graag befasst sich intensiv mit den Themen Tier- und Pflanzenkunde. Hieraus gehen charaktervolle Tierdarstellungen hervor, denen in der Ausstellung ein ganzer Saal gewidmet ist. Da sind zum Beispiel die »Zwei Eulen« (1921): die vordere nimmt eine wachsame und verteidigende Haltung zum Schutz der ängstlicheren Eule hinter ihr ein. Auch wenn de Graag Arbeiten in Schwarz-Weiß besonders gut liegen, fertigt sie häufig auch Werke in kräftigen Farben an, und oft sind die Formate ihrer Arbeiten vergleichsweise klein. Auch Escher liebt es, ausführliche Studien von Tieren zu betreiben. Im Zuge seiner Ausbildung hatte er Gelegenheit, die Tiere im Artis-Zoo in Amsterdam vor Ort zu skizzieren. Sein besonderes Interesse gilt Vögeln, Reptilien und Fischen, die er mit viel Gespür für Details wiedergibt.
Julie de Graag greift auch andere, in der Kunst beladenere Themen auf; ein Beispiel hierfür ist der lateinische Ausdruck »Memento mori«, der so viel bedeutet wie »bedenke, dass Du sterben wirst«. 1916 macht sie »Memento mori« in einem gleichnamigen Druck buchstäblich zu ihrem Thema. Der Entstehungszeitpunkt ist kein Zufall. Gesundheitlich bedingt durchlebt sie zwar immer wieder depressive Phasen, doch die Gräuel des Ersten Weltkriegs bewirken bei ihr eine weitere Verschlechterung ihrer mentalen Gesundheit. Sie kann nur schlecht mit dem Leid und der Spannung umgehen. In den letzten Jahren ihres Lebens gestaltet sie ihre Drucke einfacher, und sie wendet sich Themen zu, die mehr Stille ausdrücken. Sie wird zunehmend von ihren Eltern in Den Haag abhängig, und immer häufiger zweifelt sie an ihren Fähigkeiten – ein Gedanke, der schlussendlich die Überhand gewinnt und dazu führt, dass sie sich das Leben nimmt. Julie de Graag stirbt am 2. Februar 1924.
Mit dieser Ausstellung will das Museum Escher im Palast den Fokus auf Julie de Graag lenken und damit auf ihren Beitrag zur Kunst im Kontext der Drucke ihres Grafik-Mitstreiters M.C. Escher. Indem Julie de Graag ins Rampenlicht gerückt wird, erhält ihr Werk endlich die Wertschätzung, die es verdient.